Was ist wirksamer: Text oder Bild?

Wo das Auge hängen bleibt
Was im Gedächtnis bleibt
Text ist Sprache, und Sprache ist im Gespräch
Aktiv hält länger als Passiv
Sehen, hören, fühlen

Da gibt es doch Werbegrafiker, für die sind die Buchstaben auf einer Anzeige, einem Plakat oder Prospekt nur eine Art Ornament, ein mehr oder weniger schönes Muster fürs Auge. Seltsam, daß sich die gleichen Menschen gelegentlich so über Wörter aufregen, die ihnen der Texter in das Ornament eingeflochten hat. Die Grafikerin braucht etwas mehr Weißraum. Der Texter braucht eine Formulierung, die von der Leserin auf Anhieb verstanden wird und ihr genau das sagt, was sie wissen soll. Bei solchen Konflikten fällt dann ganz gerne der Designerspruch: »Das liest doch sowieso keiner«. Klar, für den Texter ist das auch eine persönliche Angelegenheit, wenn seine Arbeit so gering geschätzt wird. (Nur im Scherz natürlich; doch wie jeder Scherz ist auch dieser zu mindestens 30% ernst gemeint.) Seine Kunst besteht ja gerade darin, die Leute zum Lesen zu verführen. Davon abgesehen, gibt es durchaus sachliche Gründe, den Damen und Herren Gestaltern mal ein wenig in ihre Allmachtsphantasien zu spucken.

Wo das Auge hÄngenbleibt

Ansprechende Bilder werden schneller aufgenommen als ansprechende, aber geschriebene Worte. Wo das Auge des berühmten »Stern«-Durchblätterers hängenbleibt, darüber entscheidet die Gestaltung der Anzeigen. Das stimmt und hat einen einfachen Grund: Bilder bewegen sich auf der gleichen Sinnesebene wie das schweifende Auge. Texte dagegen sind optisch verschlüsselte Sprache, und Sprache ist ursprünglich ein Hör- und kein Seherlebnis. 1:0 für das Bild. So lange ein eindrucksvolles Bild immer wieder auftaucht, z. B. auf Plakaten oder Anzeigen auffällt und später im Verkaufsregal wiedererkannt wird, bleibt der Vorsprung des Optischen erhalten, weil optische Signale schneller und direkter erkannt und wiedererkannt werden als geschriebener Text. 2:0 für das Bild.

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Was im GedÄchtnis bleibt

Doch bis hierhin ist erst die halbe Aufgabe einer guten Werbung erfüllt. Es genügt nicht, daß das Auge an "unserer" Anzeige und dann noch mal an "unserem" Produkt im Verkaufsregal hängengeblieben ist. Wir haben eine Botschaft. Das, was wir dem Betrachter sagen wollen, muß jetzt auch noch in seinem Gedächtnis verankert werden. Was aber bleibt im Gedächtnis? Eines von 200 Anzeigenmotiven, die der »Stern«-Leser beim Durchblättern gesehen hat, und die alle, jedes einzelne von 200, ganz besonders "aufmerksamkeitsstark" sind? Da meldet der Texter aus seiner Erfahrung als Leser Zweifel an und stellt die These auf: Darüber, wo das Auge hängenbleibt, entscheidet meistens das Bild. Was aber von alledem, das der Leser gesehen hat, ihm im Gedächtnis bleibt: Darüber entscheidet meistens der Text. Welche Gründe gibt es für diese These?

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Text ist Sprache, und Sprache ist im GesprÄch.

Eines der ausdrücklichen Ziele von Werbung ist es, das beworbene Produkt "ins Gespräch zu bringen". Die Menschen sollen aus freien Stücken darüber sprechen, auch dann noch, wenn der Werbeträger nicht mehr zu sehen ist. Nicht nur wegen des Multiplikatoreneffektes ist das so wichtig, sondern auch, weil die Gespräche die Erinnerung an das Gesehene und Gehörte immer wieder auffrischen. Hier ist die ursprüngliche Sinnesebene des Textes, die gesprochene Sprache, kein Nachteil mehr, sondern just sein entscheidender Vorteil: Einen guten Spruch, einen wohlklingenden Namen kann jeder spontan zitieren. Jeder kann sagen oder singen: "Nuts hat's" - "Haribo macht Kinder froh..." - "Sind die dick, Mann!" - "Nichts ist unmöglich..." - "Das etwas andere Restaurant" - "Hoffentlich Allianz-versichert". Ganz nebenbei: Die kleine Auswahl zeigt zudem, daß in Deutschland wirksame, langfristig erinnerte Sprüche durch die Bank deutschsprachig sind. Ein sehr erfolgreich in Deutschland Werbetreibender, der das gleich begriffen hat, heißt McDonald's. Dagegen ist es schwierig, einen Bildeindruck im Gespräch zu beschreiben und beim Gesprächspartner wachzurufen. Jeder weiß, wie schwer es ist, einen Film zu erzählen oder gar einer Filmerzählung zuzuhören. Text und Gespräch sind auf der gleichen, Bild und Gespräch auf unterschiedlichen Sinnesebenen. Dementsprechend leichter findet Text den Weg ins Gespräch - und verkürzt so auf 2:1.

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Aktiv hÄlt lÄnger als passiv.

Das Nacherzählen von gehörtem oder gelesenem Text ist ein aktiver Vorgang. Der Erzähler sucht aktiv etwas aus seiner Erinnerung heraus, faßt es teilweise in eigene Worte, zitiert teilweise auswendig. Ein guter Text kann im Kopf der Leserin eine klare Vorstellung auslösen; ein Bild erscheint vor ihrem inneren Auge. Auch das ist ein aktiver Vorgang. Ein guter Text sorgt für ein Aha-Erlebnis: Die Leserin versteht plötzlich etwas, das ihr vorher noch nicht klar war. Der dritte "Aktiv"-Posten. Solche Vorgänge bleiben gut im Gedächtnis. Das Bild, das man sich selbst in seinem Kopf gemacht hat, wird meist besser behalten als ein fremdes Foto, das man wirklich gesehen hat. Jeder kennt den negativen Aspekt dieser Tatsache aus eigener, manchmal leidvoller Erfahrung: Auch der Fehler, das falsche Bild, das man sich gemacht hat, bleibt oft besser im Gedächtnis als die nachträgliche Korrektur. Man weiß dann zwar: Das, was ich im Kopf habe, stimmt nicht. Aber wie es wirklich war, das ist schon wieder vergessen. Daß Bilder so rasch aufgenommen werden, hat auf längere Sicht den Nachteil, daß sie ebenso rasch vergessen werden. Das hängt mit der rein passiven Seite der Bildrezeption zusammen. Nur selten regt ein Bild aktive Prozesse im Gehirn an - z. B. dann, wenn es zwei Komponenten enthält: eine oberflächliche, die sofort auffällt, und eine hintergründige, die sich erst mit Verzögerung erschließt und dabei auf einem eigenen Gedanken, einer eigenen Erinnerung des Betrachters aufbaut. In der Regel ergeben sich solche Effekte aber aus einem geschickt arrangierten Widerspruch zwischen Bild und Text, kommen also im Agenturwettkampf beiden Metiers zugute. Unterm Strich regt der Text häufiger als das Bild eigene Gedanken an. Macht 2:2 für Text und Bild. Was zu beweisen war.

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Sehen, HÖren, FÜhlen

Grafiker sind zweifellos Augenmenschen. Texter dürften in der Regel Ohrenmenschen sein, denen Klänge vielleicht sogar wichtiger sind als Farben. Das Publikum ist gemischt. Die große Bedeutung von Film und Fernsehen spricht nicht unbedingt für ein Übergewicht der Augenmenschen, denn jeder Film ist ein Seh- und Hörerlebnis, wobei letzteres näher ans Gefühlszentrum kommt. Siehe Dolby Surround, siehe bzw. höre die oft so gefühlsbetonte Filmmusik. Während Soundtracks von Filmen auch alleine verkauft werden können, sind Tonfilme ohne Ton unverkäuflich. Das vorab, um Folgendes verständlich zu machen: Der Texter will, daß der von ihm getextete Prospekt spricht wie ein vernünftiger, von seiner Sache überzeugter Mensch. Engagiert, überzeugend, manchmal vorsichtig, manchmal direkt, manchmal drastisch, manchmal elegant. Ob sein Text so wirkt, überprüft er, indem er ihn laut vorliest und zum Klingen bringt wie ein Instrument. Ein guter Text muß klingen, wenn man ihn liest; man muß sich die Stimme dazu vorstellen, die die Worte ausspricht. Ein klingender Text wird gerne gelesen. Das heißt, die Entschlüsselung der Schrift, ihre Rückführung auf die gesprochene Sprache, muß auf kurzem Wege möglich bleiben und darf nicht verbaut werden. Verbaut wird sie z. B. durch gewisse/beliebte Abkürzungen, die zwar optisch Platz sparen, aber nur schwer oder zweifelhaft aussprechbar sind: "die Bedeutung von Film/TV" "der/die LeserIn" "Der Promoter überreicht die »Wohin geht's mit ATLAS Aktionskarte«." "Outfit/ Accessoires für 2 Promoter" "der Packungs/ Line extension - Ansatz".

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Marketing-Fritzen und -Tanten sind auch nur Menschen

Sie lesen einen Text oder lesen ihn nicht. Dabei entscheiden die gleichen Kriterien wie bei Konsumenten. Wer den Text von Präsentations-Büchlein unter der Maßgabe schreibt, daß er "sowieso nicht gelesen wird", geht sicher, daß er auch tatsächlich ungelesen bleibt. Der darf sich aber nicht beklagen, wenn er später merkt, daß Onkel Fritz und Tante Tussi einen entscheidenden Gedanken nicht begriffen haben und etwas erklärt haben möchten, was ihnen schon längst vorgestellt wurde.

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